Der Wiener Musiker will weg vom ewigen Liebesthema, jedoch ganz ohne sie klappt es dann doch nicht
Es ist ein verschlafener Samstagnachmittag irgendwo mitten in Wien. Der Himmel ist von Wolken bedeckt und allmählich gehen links und rechts die Laternen an. Wir treffen uns am Donauufer vorm Flex: Ein kleiner zugetaggt- und vollgemalter Club, der von außen mit bunten Lichtern angestrahlt wird. Aus ihm ertönen die üblichen Soundcheckgeräusche, sprich: dumpfe Gitarrenriffs, Drums und Flaschenklirren. Euphorie liegt in der Luft. „Schau, das sieht aus wie Benzin“, sagt SALÒ und zeigt mit seinem Finger auf das vom Licht angestrahlte Wasser. Ich nicke zustimmend mit dem Kopf und im nächsten Augenblick finden wir uns auf einer Art Holzbank unter einem Baum wieder.
Unser heutiges Thema: LIEBE.
S – SALÒ
C – CARLA
- S: Ich glaub, Liebe ist einfach das Streben nach Geborgenheit und Verständnis in einer Zweisamkeit, also definitiv in einer Monogamie. Das wird ja auch immer mehr diskutiert, ob Poly oder Mono – aber das gibt’s in meiner Welt nicht.
- C: Stimmt, wie sieht’s zur Zeit bei dir aus?
- S: Ich bin jetzt wieder mit einer Person zusammen – jetzt geht’s mir auch besser. Ich hab prinzipiell weniger Probleme, weil ich über das Gerad nicht mehr nachdenken muss. Das wird sich auch definitiv auf die Lieder auswirken.
- C: Interessant, was erwartet uns da?
- S: Wahrscheinlich mehr andere Themen, die mich tangieren. Vielleicht politische oder allgemein lustige. Ich bin ja froh, wenn ich mal befreit bin von diesem ewigen Kreisen um dieses eine Thema, das ist ja auch langweilig.
- C: Findse Liebe jetzt langweilig?
- S: Ne, aber die Sorgen drum und die Angst, wie man Liebe kriegt und wie man sie am besten nicht gleich wieder verliert. Oder man selber das Interesse verliert an einer anderen Person, das ist bei mir oft der Fall. Bin froh, wenn ich davon – wie soll ich sagen – befreit bin.
- C: Weil du darüber so viel nachgedacht hast, handeln deine Lieder auch zu 95% davon, oder?
- S: Ja, also von Trennungen. Die erste EP handelt davon, weil ich so eine schlimme On- Off-Beziehung hatte. Wahrscheinlich doppelseitig tiefst narzisstisch, hab ich jetzt herausgefunden. Ich les gerad ‚Jeder ist beziehungsfähig‘ von Steffi Stahl – ich LIEBE Steffi Stahl. Kennst du die?
- C: Leider nicht.
- S: Das ist so eine ganz berühmte Beziehungspsychologin, die hat ein paar Bestseller geschrieben. ‚Das Kind in dir muss Heimat finden‘ – damit setze ich mich jetzt gerade auseinander.
- C: Hat das Kind in dir Heimat gefunden?
- S: Ne, hab das Buch noch gar nicht gelesen, aber definitiv nicht. Da geht es ja auch vor allem um Kindheitstraumata, die für das Verständnis von Liebe perse verantwortlich sind. Also, ob man jetzt ein klammernder Mensch ist oder Verlust- oder Bindungsängste hat, das hängt alles zusammen. Ist voll interessant, sich damit auseinander zu setzen. Vielleicht hat es mir auch schon geholfen. Ich versuch jetzt eher mal, eine Beziehung in den Griff zu kriegen und mich dahingehend auch ein wenig zu ändern.
- C: Das klingt doch mega. Also war es vorher immer so, dass Liebe für dich mit Schmerz verbunden war und nun versuchst du, dich davon frei zu machen oder wie kann ich das verstehen?
- S: Ja, voll. Das Problem ist, sobald Liebe keinen Schmerz hat, ist es für viele Menschen so, dass sie einen gewissen Wert verliert. Insofern, dass du halt tatsächlich die ganzen Klischees mit ‚Liebe muss weh tun, sonst spürt man sie nicht‘ oder dass mit diesem ‚Jemand ist nur interessant, wenn er nicht zu haben ist‘ erfüllst. Das zeugt ja tatsächlich von einem gewissen Bindungsmuster, dass manche Leute in der Kindheit mitkriegen. Wenn man zum Beispiel ein schlechtes Verhältnis zu der Mutter hat und um die Liebe immer kämpfen musste, dann glaubt man auch in seinen späteren Beziehungen, dass Liebe nur etwas ist, um das man kämpfen muss. Das habe ich erkannt und mich in dem Buch sehr wieder gefunden. So‘n Arbeitsbuch ist auch dabei.
- C: Und das füllst du jetzt fleißig aus?
- S: Ja, es ist voll interessant, sich selbst zu kennen.
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- C: In dem Lied Bonjour Tristesse sagst du: Melancholie ist meine Boje, Distanz meine Flut, immer, wenn mich die Einsamkeit mich beißt, geht’s mir gut.
- S: Ja, voll, anscheinend mag ich dieses Leiden, aber natürlich nur bis zu einem gewissen Grad. In der Distanz blüht ja das Begehren, ich glaub, darum geht’s so ein bisschen in dem Lied.
- C: Du sehnst dich aber schon irgendwie nach dieser Distanz, immerhin ist das ja auch ein kleines Nervenkribbeln und wenn das komplett weg ist – ist ja auch blöd, oder?
- S: Joa, aber ich will das alles nicht mehr. Aber ja, es stimmt, tatsächlich sehne ich mich nach einer Distanz und wenn ich sie hab, dann will ich sie nicht. Das ist voll unangenehm. Also wirklich und drüber reden ist immer deswegen anstrengend, weil man merkt, was für Klischees man eigentlich bedient. Aber ein cooles Zitat ist: ‚Ein Klischee ist eine Wahrheit, die zu oft wiederholt wird‘, das trifft halt leider auch darauf zu.
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- C: Du schreibst oft Lieder über die Liebe, aber Tiere kommen auch oft vor…
- S: – Ich liebe Tiere –
- C: …wärst du lieber Tier oder Mensch?
- S: Lieber Tier. Weil ich glaub, dass die meisten Probleme der Menschheit erstmal vom Ich-Konzept, also dem Ego, kommen. Ein Tier hat das nicht, da der Hypothalamus zu klein ist. Das heißt, Tiere haben keine Vorstellung von Vergangenheit und Zukunft, sondern leben total im Jetzt und sind komplett auf ihre Triebe runtergebrochen, dabei aber auch mega glücklich – das merkt man ja bei Hunden. Du fühlst dich wie ein Tier, wenn du komplett im Jetzt bist. Du machst dir keine Gedanken, keine Sorgen um die Zukunft und trauerst nicht der Vergangenheit nach. Ich glaub, so geht’s einem Tier ein bisschen.
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- C: Ich mag diese Vorstellung. Was wärst du denn gerne für ein Tier?
- S: Ich glaub, ein wilder Hund. Obwohl boah ich weiß nicht, vielleicht ein zahmer Hund mit einem lieben Frauchen, weil ein Wildhund mit Kämpfen ums Überleben, das könnte ich nicht – da hab ich keinen Bock drauf.
- Auf einmal bekommt er eine Nachricht und springt auf – der Soundcheck ruft.
- Gut drei Zigaretten später geht’s weiter. Das Thema: INSPIRATION.
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- C: Deine Lieder tragen Namen wie Puch Monza, Oxytocin oder Alte Sünder. Woher nimmst du die Titel?
- S: Puch Monza, das war mein erstes Moped, mit dem ich zur Arbeit gefahren bin und in dem Lied geht’s eher so um die erste Jugendliebe.
- C: Sweet. Oxytocin, ist jetzt aber zum Beispiel nicht so ein gängiger Begriff im Alltag. Was hat es damit auf sich?
- S: Ich interessiere mich schon für Neurotransmitter, das kenne ich noch aus dem Psychologie-Studium und Oxytocin ist das Kuschel- und Sexhormon. Ich glaub, da wollte ich so eine Verbindung machen – also man kann ja nach Nähe und Körperlichkeit abhängig sein und da hab ich mir einfach gedacht, da nehme ich mir Oxytocin als Stoff her, der süchtig macht.
- C: War dein lyrisches Ich danach mal süchtig?
- S: Ja sicher, klar. Ich glaub, wenn man jemanden vermisst, dann auch immer auf einer körperlichen Ebene, zwar nicht immer sexuell, aber es gibt ja einen Grund, weshalb man von manchen Leuten mehr will als Freundschaft. Man fühlt sich zu der Person hingezogen und möchte ihr halt nah sein und genau dadurch entsteht ja Oxytocin – das ist ja ein FAKT.
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- C: Dein Sound ist ja eher rough, mit Vocals die durch Distortion verzerrt werden. Eine Mischung aus Punk und Neue Deutsche Welle, wenn man so will.
- S: Korrekt, also ein echter Punker war ich nie – ich hatte immer einen Job. Neue Deutsche Welle aber gar nicht, da will ich auch weg. Ich will keine 80er Musik machen.
- C: Sondern?
- S: Modernere. Neuzeitigere Musik mit Mitteln, die es halt schon länger gibt. Nur weil du eine E-Gitarre hast, machst du ja keine 60er Musik. Das stört mich immer, wenn man Syntheziser verwendet, dass man dann sofort in die Schublade Neue Deutsche Welle und 80er gesteckt wird.
- C: Verstehe. Wie bist du denn überhaupt zur Musik gekommen?
- S: Ich war schon immer Sänger in Bands. Mit meinem Schlagzeuger und Bassisten – der Schlagzeuger ist auch mein Produzent – bin ich schon seit dem ich 16 bin in einer Band. Zur Zeit heißen wir die Fehlkäufe. Aber wir hatten schon viele Namen: Die wilden Welpen, die Bratkartoffeln und einmal SALÓ und die süßen Experten.
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- C: Süß, hat sich euer Stil verändert?
- S: Durch unseren neuen Gitarristen, den Mini, haben wir jetzt gitarrenlastigere Songs, die noch punkiger sind. Vor allem das nächste Lied, was jetzt rauskommt Geil auf Betong, da merkt man, dass es mit ihm zusammen geschrieben ist. Gefällt mir richtig gut, ist mein favorite.
- C: Sonst schreibst du deine Songs mit deinem Drummer?
- S: Jap. Ich hab eine Vision, eine Idee und wir setzen das dann gemeinsam um. Er hat ein Kind und kann jetzt nicht mehr so Halligalli machen, deswegen bekommen wir auch bald einen neuen Drummer – aber gemeinsam Songs machen wir weiterhin. Ich bekomme auch tatsächlich immer wieder Angebote von Produzenten, die gemeinsam mit mir Musik machen wollen – auch für ziemlich horrende Preise – aber da sag ich immer nein. Ich will meinen eigenen Sound haben.
- C: Verständlich, wie würdest du dich selbst in drei Worten beschreiben?
- S: Ehm, chaotisch, lieb und lost.
- C: Not bad – auf jeden Fall sympathisch. Aber nochmal zurück zum Liebesthema: Denkst du zur Zeit eigentlich oft an die Liebe? Oder eher nicht, weil sie gerade kein Problem darstellt?
- S: An die Theorie denke ich eigentlich immer, weil ich find das ist ein spannendes Thema, was allgegenwärtig ist – kann man ja nicht mehr wegdenken – weder aus Film noch Literatur oder dem echtem Leben. Ich versuch, so ein bisschen zu verstehen, wie man es hinbekommt. Weil man ist schon so ein wenig der Spielball der eigenen Gefühle.
- C: Würdest du deine Gefühle gerne kontrollieren können?
- S: Würde ich gerne, ja, tatsächlich. Also ich will auf jeden Fall, dass wenn ich einen negativen Gedanken habe, den in den Griff bekommen und nicht weiter ausführen – das lernt man in der Meditation.
- C: Stimmt, Meditation ist schon toll. Aber genug davon: Traum oder Realität, was ist dir lieber?
- S: Beides, also du kannst deine Realität mit gewissen Techniken einen Traumcharakter geben, wenn man auf das Spirituelle steht. So Love Attraction usw.
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- C: Was steht für die Zukunft an?
- S: Album im Mai, neues Lied und Video am 18. November. Große Solotour durch Deutschland ab April, geile Festivals im Sommer und immer neue Musik. Was immer ein Ausschnitt aus meinem Leben ist. Ich möchte es eigentlich ein bisschen weniger persönlich machen, das habe ich abgefrühstückt. Jetzt suche ich mal paar interessante Dinge im Allgemeinen, das wäre mir lieber.
- C: Letzte Frage: Du bist verliebt, also liebst du die Liebe immer noch?
- S : Ja voll. Ist ja auch anstrengend, wenn du auf der Suche bist. Ich find daten absolut schrecklich.
- C: Du sprichst mir aus der Seele.
Und so endet unser kleines Interview.
Als überzeugter Single nehme ich aus dem Gespräch mit, dass man es schaffen kann, seine eigenen Stereotypen zu überwinden, wenn man denn will. Liebe auch dann noch interessant ist, wenn sie nicht nur von Begierde und Leid gesteuert wird und wir in Zukunft thematisch komplett neue Songs von SALÒ erwarten können. I like.
Zum Abschied lerne ich noch schnell seine Band kennen. Allesamt sympathisch wirkende Menschen, auch der Drummer Dad ist dabei. Nach ungefähr dreimal kreuz und quer Tschüss sagen, laufe ich zur Bim. Auf dem Daheimweg begleitet mich seine Musik und so dröhnt aus meinen Kopfhörern: „Wenn Liebe keine Sünde ist, warum tut sie dann am Ende so weh..“.