Ohne Guthaben, Internet oder Orientierung alleine auf einem Deichkind Konzert irgendwo in Berlin stehen und sich treiben lassen. Einfach mal machen, auf das Beste hoffen und sich nicht stressen lassen, auch wenn man auf dem Heimweg in die komplett falsche Richtung läuft.
So fing alles an.
Ich kam alleine, aber mit viel Optimismus und einem groben Plan in Berlin an. Wird schon alles gut gehen, das habe ich mir so gut wie jeden Tag gesagt.
Die ersten Wochen in meiner neuen Stadt waren von Sonnenschein und viel Wein geprägt. Täglich reisten Freund:innen an, um mit mir gemeinsam den Sommer zu genießen und meinen Start so angenehm wie nur möglich zu gestalten. Soweit so gut. Doch als die Zeit verging und eine Vielzahl an Initiativbewerbungen unbeantwortet blieb, musste ich feststellen, dass Berlin entgegen meinen Erwartungen nicht auf mich gewartet hat.
Ganz im Gegenteil, ich hatte das Gefühl, dass diese Stadt mich nicht mag.
In meinem zweiten Monat bin ich nachts auf der Kurfürstenstraße gestrandet ohne zu wissen, dass dieser Ort der Straßenstrich ist. So stand ich also zwischen Freiern und Sexarbeiterinnen an der Straßenecke vor dem LSD Sexkaufhaus, das in grell pink leuchtenden Buchstaben „Love, Sex and Dreams“ verspricht und versuchte panisch, mit meinen letzten zwei Prozent Akku ein Uber zu rufen.
Love, Sex and Dreams – wie der Song von Asap Rocky. Ich wäre auch lieber wie im Musikvideo auf einem Acid Trip durch die Straßen gelaufen und hätte mich von den bunten Lichtern der Stadt faszinieren lassen. Aber nein, meine Realität war eine komplett andere. Ich stand alleine und verzweifelt auf dem Strich und musste allen Anwesenden mühevoll erklären, dass ich entgegen ihren Erwartungen nicht zum Arbeiten dort bin. Schön war das nicht.
Als endlich mein Retter in Form des Fahrers erschien, machte ich einen Hechtsprung ins Auto. – Geschafft!
Das sollte allerdings nur der Anfang meines Downfalls sein.
Drei Tage später kippte ich am wärmsten Tag des Jahres bei einem Paula Hartmann Konzert um. Ich weiß noch wie der Freund, mit dem ich da war, panisch schrie und versuchte, mich aufzuwecken. In den ersten Minuten vermutete ich noch, Ko-Tropfen untergejubelt bekommen zu haben. Schließlich wurde ich von irgendeinem Locationmanager durch die Gegend getragen und mit Cola und Pommes versorgt. Kreislauf lässt grüßen.
Die Spitze des Eisbergs wurde dann 2 Wochen später mit dem Tod meines geliebten Hundebruders erreicht.
Tolle erste Monate. Kein Praktikumsplatz, Kreative Krise, kein Geld und mit dem Thema Liebe fangen wir mal lieber erst gar nicht an.
Ach ja und als wäre das nicht schon genug, musste ich feststellen, dass das Gras aus der Hauptstadt mehr als beschissen ist. So saß ich also anstatt high vom Leben high vom Psychosengras in meinem untergemieteten Zimmer in Wilmersdorf, umringt von Möbeln und Plakaten, die mir nicht gehören und wusste absolut nicht, was die Zukunft für mich bereithält.
Das erste Mal in meinem Leben fühlte ich mich einsam und allmählich hoffnungslos. Nichts hat funktioniert, weder Schreiben noch das, was mir am leichtesten fällt: neue Menschen kennenlernen. Ich bemerkte, wie ich langsam aber sicher Falten auf der Stirn bekam und mein gesamtes Geld für Schokokekse und Räucherstäbchen ausgab.
So ging es definitiv nicht weiter. Mittlerweile war es Herbst und der Winter stand vor der Tür. Ich war also schon 3 Monate in der City, hatte bis jetzt überhaupt nichts erreicht, alle Reserven aufgebraucht und stand kurz davor, einen Job in meiner persönlichen Hölle anzunehmen – einem Sandwichladen am Alexanderplatz. Das Grauen war allmählich perfekt.
An einem Dienstagabend hockte ich in meinem Zimmer auf der Couch aka mein Bett und öffnete die Mails. „Ich möchte Sie gerne zu einem Bewerbungsgespräch am Freitag einladen, Ihre Chancen stehen sehr gut“. Ich las diese Zeilen und auf einmal lief mir ein Schauer den Nacken runter. Alles in mir zog sich zusammen und ich bekam Panik. Es machte Klick.
Bin ich wirklich nach Berlin gezogen, um in einem Sandwichladen an diesem schrecklichen Ort zu arbeiten? Das Geld wäre schon nett, aber ein Sandwichladen am Alex?! So hatte ich mir das definitiv nicht vorgestellt. Ich weigerte mich, auf diese Weise weiterzumachen, und verschob das Bewerbungsgespräch auf Montag, um mir eine Frist von fünf Tagen zu geben und mein Schicksal ein und für alle Mal selbst in die Hand zu nehmen.
Einen Tag später hatte ich dank eines guten Bekannten die Aussicht auf einen Praktikumsplatz. Zwar nicht in einer Redaktion, dafür in einer Agentur für diverse Künstler:innen, was Anderes, aber auch sehr spannend!
Anscheinend brauchte ich diese priviligierte Krise, um irgendwie klar zu kommen.
Manchmal muss man sich aber auch einfach eingestehen, dass man es alleine nicht schafft. Ich bin Kay sehr dankbar, denn wäre er nicht gewesen, würde ich jetzt wahrscheinlich in einem kleinen Laden am Alexanderplatz kurz vor dem Nervenzusammenbruch stehen.
Zum Glück ist mir das erspart geblieben. Meine Chefin nahm mich herzlich in der Agentur auf und zeigte mir die Musikbranche aus der Booking-Perspektive. Sie war die erste Person in Berlin, die mir neben einem guten Gefühl auch Hoffnung gab.
Ab diesem Zeitpunkt ging es allmählich bergauf. Mittlerweile war es November und die Stadt versank in den verschiedensten Grautönen. Aber das war okay, denn mein Optimismus strahlte heller denn je.
Die darauffolgenden Monate vergingen wie Wolken am Himmel und ich fühlte mich immer wohler in Berlin. Lernte allmählich neue Menschen und Orte kennen und aß weniger Schokokekse.
So, jetzt könnte die Geschichte auch eigentlich enden, aber das tut sie nicht. Noch nicht. Jetzt wird erstmal ein neues Kapitel aufgeschlagen und ich bin gespannt, was passiert. Wie mein guter Freund Lars zu sagen pflegt: es kann nur besser werden.
Abgesehen vom Gras in Berlin, das bleibt Kacke.