Ein Einblick in die rechtsradikale Vereinigung
Seit dem Potsdamer Geheimtreffen im November 2023, bei dem Martin Sellner, ehemaliger Sprecher der Identitären Bewegung in Österreich, den „Masterplan“ zur Remigration vorstellte, ist die rechtsradikale Gruppierung vielen ein Begriff. Doch was genau ist die Identitäre Bewegung eigentlich? Welche Ideologie vertreten ihre Anhänger:innen? Wie unterscheidet sie sich von anderen rechtsextremen Bewegungen und welche Rolle spielt dabei ein österreichischer Rechtsradikaler?
Rückblick:
Im Januar veröffentlichte das Recherenetzwerk Correctiv ihre Enthüllungen über ein Geheimtreffen rechter Akteure im Oktober 2023. Das Hauptthema des Abends war Remigration, sprich: Wie kann man schnellstmöglich dafür sorgen, dass alle Menschen, die nicht in das Weltbild der Rechten passen, das Land verlassen.
Dieser Plan wurde von niemand Geringerem vorgestellt als dem Rechtsradikalen und ehemaligen Sprecher der Identitären Bewegung, Martin Sellner. Geht es nach dem Österreicher sollen drei Gruppen aus Deutschland rausgedrängt werden. Neben Asylbewerbern sind es Ausländer mit Bleiberecht und „nicht assimilierte Staatsbürger“. Für die letzte Gruppe schweben Sellner mögliche Mittel wie hoher Anpassungsdruck und maßgeschneiderte Gesetze vor, um sie zur Ausreise zu drängen. Sellner spaltet die Gesellschaft in diejenigen, die in Deutschland leben sollen und jene, die eben nicht bleiben sollen. Sowohl der Plan als auch das gesamte Geheimtreffen weisen starke Parallelen zur Wannseekonferenz von 1942 auf, bei der hochrangige Vertreter des NS-Regimes zusammenkamen um zu koordinieren, wie die Ermordung europäischer Juden auf Behördenebene möglichst effizient umgesetzt werden sollte.
Nach dem Treffen und den Plänen zur massenhaften Abschiebung von Einwandern und Deutschen mit Migrationshintergrund erhielt Sellner ein bundesweites Einreiseverbot von der Ausländerbehörde in Potsdam. Im Falle einer erneuten Einreise droht ihm die Abschiebung.
Wer ist Martin Sellner?
Der 35 jährige Hauptredner des Abends inszeniert sich als rechtsextremer Aktivist und wird als kreativer Kopf der Neuen Rechten angesehen. Geboren ist er in Wien und studierte Rechtswissenschaften und Philosophie, wobei er ersteres Fach abbrach. Bereits als Jugendlicher schloss er sich der Neonazi-Szene an und gilt mittlerweile als Strippenzieher innerhalb des rechtsextremen Milieus in Europa. Zu seinen Mentoren zählen neben der Neonazigröße Gottfried Küssel auch der rechtsextreme Verleger und Publizist Götz Kubitschek, der als Vertrauter von Höcke gilt. Seit 2015 ist Sellner außerdem im rechtsextremen „Institut für Staatspolitik“ von Kubitschek tätig und hat mehrere eigene Bücher im dazugehörigen Verlag Antaios veröffentlicht. In diesen Werken präsentiert er seine völkischen, rassistischen und antisemitischen Ideologien. Innerhalb der Identitären fand er den perfekten Rahmen, um diese Ideen zu verbreiten. Von 2015 bis 2023 fungierte er als Sprecher der von ihm mitbegründeten Identitären Bewegung Österreichs und wird als führende Figur der Vereinigung angesehen.
Was genau ist die Identitäre Bewegung?
Die Gruppierung, die einst als Jugendorganisation der Wahlpartei „Bloc Identitaire“ in Frankreich begann, breitet sich seit Herbst 2012 in ganz Europa aus. Die Anhänger:innen verstehen sich als rebellische, moderne und vor allem junge Elite, die gegen das Establishment vorgeht.
Ideologisch ist die Identitäre Bewegung in den Neuen Rechten angesiedelt. Der Kosmos, in dem sich die Anhänger:innen bewegen, ist weit und reicht von verschwörungstheoretisch bis hin zu sozialdarwinistisch-neoliberal. Sozialdarwinismus, als rassistische Ideologie, bezieht sich auf die Anwendung der Prinzipien der natürlichen Auslese und des Überlebens des Stärkeren auf menschliche Gesellschaften. Dabei wird argumentiert, dass erfolgreiche Menschen innerhalb der Gesellschaft dies nur aufgrund ihrer genetischen Überlegenheit oder persönlichen Fähigkeiten erreichen und dass Eingriffe zur Unterstützung weniger erfolgreicher Mitglieder der Gesellschaft vermieden werden sollten.
Die Identitären propagieren das Konzept des Ethnopluralismus, das eine homogene „europäischen Kultur“ ohne Einfluss anderer Kulturen befürwortet. Ethnopluralisten, wie sie sich ihre Anhänger:innen gerne nennen, grenzen sich bewusst vom Vokabular des klassischen Rassismus ab, indem sie anstelle von „Rassen“ nun von „Völkern und Kulturen“ sprechen. Gemäß der Ideologie der Identitären wird man in diese Kultur hineingeboren. Sie wird als statisches, ahistorisches und homogenisierendes Konzept betrachtet, das keinen Austausch oder Vermischung mit anderen Kulturen zulässt.
Die Identitäre Bewegung weist nur geringfügige Unterschiede zu den traditionellen Rechten auf. Im Vergleich zu Neonazis unterscheidet sich jedoch ihre Vorgehensweise durch ihre strategische Ausrichtung. Die Anhänger:innen zeigen offen ihr Gesicht und übernehmen linke Aktionsformen sowie Ästhetik, wodurch ihr Erscheinungsbild wenig Ähnlichkeit mit denen der alten Rechten hat. Sie bezeichnen sich selbst als ‚rechte Aktivisten‘ und lassen sich auch im Marketing von Protestaktionen aus der Umweltbewegung inspirieren: „Das Bild ist das Wichtigste. Die Schlagzeile ist realer als die Aktion. Das hat Greenpeace schon lange verstanden – und wir jetzt auch“, so Sellner. Durch die Übernahme linker Praktiken und Gestaltungsstile kreieren die Anhänger:innen ein neues Erscheinungsbild, das nur wenig mit den traditionellen Rechten gemein hat. Stilistisch betrachtet werden die Identitären immer besser darin, ihre rechte Ideologie zu verschleiern.Sie vereinnahmen linke Denker wie Antonio Gramsci, der erklärt, dass staatliche Restriktionen nur legitim sind, wenn sie von der Gesellschaft akzeptiert werden. Das bedeutet, dass nicht nur das staatlich Gewaltmonopol, sondern auch der gesellschaftliche Konsens die Macht sichert.
Es geht darum was gesagt werden kann, was gefordert werden darf und was als Akzeptale Meinung betrachtet wird. Dieser Kampf um die öffentliche Meinung ist entscheidend für die politische Hegemonie. Das Ziel ist eine Revolution, jedoch nicht nach Gramsci, der auf eine klassenlose Gesellschaft hofft, sondern eine, die zu einer rassischen Segregation führt.
Dabei handelt es sich um kulturelle Hegemonie und Diskurspiraterie. Das bedeutet, dass die Identitäre Bewegung die Praxis bestehender Diskurse oder Debatten nutzt, um sie zu manipulieren, zu kapern oder zu dominieren, sodass die eigenen individuellen Ziele erreicht werden.
Völkischer Rassismus getarnt als kultureller Erhalt
Die Identitäten befürchten, als Bevölkerung „ausgetauscht“ zu werden. Sie sprechen von einem kulturellen Austausch und dem Verlust der eigenen Identität. Anstatt von „Rasse“ wird von „Kulturen“ gesprochen, die sich „frei von äußeren Einflüssen“ entwickeln müssen, diese werden vermeintlich gleich angesehen, jedoch trügt der Schein. Die „Gleichwertigkeit“ der Kulturen wird von den Identitären nicht konsequent vertreten, da nicht europäische Menschen und besonders der Islam als eine Gefahr für ein „ethnisch reines“ Europa und für ihre „Festung Europas“ angesehen werden. Ein besonders wichtiger Begriff, wenn nicht sogar der bedeutendste ist der Begriff der „Identität“, diese sehen die Anhänger:innen durch den Multikulturalismus und die „Islamisierung“ besonders gefährdet.
Diese Ideologie ist auch im Lambda, dem Logo der Identitären vereint. Das Lambda repräsentiert den elften Buchstaben des griechischen Alphabets und gilt als Symbol der Krieger des alten Spartas rund 500 Jahre vor Christus. In der Mythologie verteidigten die Spartaner Europa vor den Heerscharen fremder Kräften. Zusätzlich verwenden die Identitären häufig die Zahl 732, die auf die Niederlage muslimischer Soldaten durch fränkische Heere im Jahr 732 hinweist.
Die erste wahrnehmbare Aktion des Vorreiters in Frankreich fand im Gründungsjahr 2012 statt. Rund 70 Anhänger:innen kletterten auf eine noch nicht fertiggestellte Moschee, besetzen sie für sechs Stunden und entrollten ein Banner mit ihren Erkennungssymbolen. Weitere Aktionen wie diese ließen nicht lang auf sich warten. Im selben Jahr fand während der ‚interkulturellen Woche‘ in Frankfurt am Main die erste öffentliche Aktion der Identitären in Deutschland statt. Anhänger:innen stürmten die Eröffnungsrede mit mehreren Schildern im Schlepptau, auf denen neben ihren Erkennungssymbolen auch Parolen wie: „Multikulti wegblasen“ standen. In Wien drangen sie in eine Theateraufführung über Flüchtlinge ein und bespritzen die Schauspieler:innen mit Kunstblut.
Da sie ihre rechte Ideologie offen ausleben, wird die Identitäre Bewegung seit 2016 von dem Verfassungsschutz beobachtet: „Die Ideologie der Identitäten Bewegung verletzt die grundgesetzlich geschützte Menschenwürde und das Demokratieprinzip.“. Laut dem Verfassungsschutz sind die Positionen der Identitären daher nicht mit dem Grundgesetzt vereinbar: „Vor diesem Hintergrund sowie angesichts der vorherigen Betätigung einiger Führungsaktivisten in rechtsextremistischen Organisationen stuft das BfV die Identitäre Bewegung als rechtsextremistische Bestrebung ein“.
Die Vereinigung hat sich längst von einer kleinen Randgruppe zu einer etablierten Kraft mit rechtsextremen Ideologien in der Gesellschaft entwickelt. Mit einer Vielzahl von lokalen Gruppen, die laut bpb in 16 offizielle Regionalverbände gebündelt werden sollten, hat sie ihre Präsenz erweitert. Laut Correctiv zählt die Bochumer Gruppe als besonders aktiv. Die rechtsextreme Ideologie, geprägt von starkem Patriotismus und völkisch rassistischen Konzepten, strebt nach einem starken Europa mit gesicherten Grenzen und gewinnt angesichts des wachsenden Rechtsdrucks zunehmend an Zuspruch.
Weiterführende Literatur
Correctiv: Geheimplan gegen Deutschland
Correctiv: Die rechten Hipster aus dem Pott