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Die kurze Geschichte eines prokrastinierenden Kopfes

by Carla Cingil
10.09.2022

Sonntagmittag: Es ist Herbst und ich laufe den kompletten Tag schon in Schafklamotten durch die Wohnung. Mein Ziel für den Tag: Einen Text schreiben. Aber worüber nur? Ich schnappe mir meinen PC und setze mich an den Küchentisch. Es gibt ein paar Themen, die ich bereits angefangen habe und an denen ich weiterarbeiten könnte, aber irgendwie komme ich nicht richtig in den flow. Ich schnaufe und beschließe, mir erstmal einen Kaffee zu machen, um wach zu werden. Ich öffne die Balkontür, um zu testen ob die Gefahr besteht, draußen zu erfrieren. Entgegen meiner Befürchtung kommt mir jedoch ein warmes Lüftchen entgegen. Angenehm, denke ich mir und beschließe den Kaffee draußen zu trinken.

Es ist ein sehr verschlafener Sonntag. Die Blätter der Bäume haben sich bereits verfärbt und strahlen in allen möglichen Farben. Der Großteil von ihnen hängt sogar noch an den Ästen und tanzt im leichten Wind. Ich schnappe mir meine Kaffeetasse, setze mich in einen Campingstuhl und beobachte das kleine Naturschauspiel.

Nach ungefähr 10 Minuten richtet sich mein Blick auf die Wände des Balkons, ziemlich grau, denke ich mir. Ich lehne mich in den Campingstuhl zurück, lege meine Beine auf der Fassade ab und schaue nach oben. Ich muss die Augen leicht zumachen, da die Herbstsonne heute ihr großes Comeback feiert. Eigentlich ist es ziemlich warm, ein viel zu schöner Tag, um ihn vor dem PC zu verbringen. Im gleichen Moment verspüre ich ein unangenehmes Gefühl. Es fühlt sich so an als würde ein Ballon in meinem Brustkorb aufgeblasen werden, der Druck versucht Richtung Nacken auszuweichen, schafft es aber nicht ganz stattdessen breitet er sich im kompletten Körper aus. Ich kenne dieses Gefühl und weiß auch, wo es herkommt. Ich nenne es das Prokrastinationsgefühl. Die Wurzel dieser Empfindung liegt in einer kleinen Sache. Einer Sache, die man sich vorgenommen hat und die man ja auch eigentlich machen möchte- nur eben nicht jetzt. Warum nicht jetzt? Gute Frage.

Ich weiß nicht, irgendwie fühle ich mich gerade nicht danach. Okay ja gut, wenn wir realistisch sind, habe ich noch genug Zeit, um locker alles zu schaffen. Das, was jetzt benötigt wird, ist Inspiration. INSPIRATION. Wo findet man die? Manchmal findet man sie in monotonen Tätigkeiten, denke ich mir und lasse meinen Blick dabei über die Fassade des Balkons schweifen. ICH HAB‘S! Schrei ich auf einmal auf, und haue mit meiner flachen Hand auf die Wand. Ich streiche die Wände des Balkons! Streichen hat was mit Malen zu tun, Malen ist Kunst und Kunst ist Inspiration. Also genau das Richtige für meine Situation.

Schnurstracks laufe ich den Flur meiner WG herunter und fange an, nach einem Topf Farbe zu suchen. Irgendwo hier zwischen Schuhschrank und Papierkartons müsste ich doch eigentlich fündig werden, denke ich mir. Und ich behalte Recht, ein paar Minuten später steh ich ausgestattet mit Pinsel und weißer Wandfarbe auf dem Balkon und beginne mit meiner Mission. Wandfarbe für einen Balkon, ob das wohl gut geht? Ruft mein Mitbewohner aus der Küche. Ich, stets überzeugt von meinem Plan, entgegne ihm mit einem energischen: „Ja klar, dat wird super!“. Die Zeit vergeht. Das Streichen macht echt Spaß und hat auch irgendwie etwas Meditatives. Ich lausche den Vögeln zu und lass mir die Nachmittagssonne auf den Kopf scheinen. Mit jedem weiteren Pinselstrich fühle ich mich gut.  Nach anderthalb Stunden bin ich fertig und lasse mich stolz in den Campingstuhl fallen.

Jetzt ein Gläschen Wein, das wäre doch was Schönes. Ehe ich mich versehe, tragen meine Beine mich Richtung Kühlschrank und ich gieße mir ein Glas Rotwein ein. Lambrusco, um genau zu sein. Ich geh zurück auf den Balkon, um mein Meisterwerk zu betrachten. Definitiv besser als vorher, stelle ich fest. Ich verbringe noch ungefähr eine Stunde mit meinem Weinglas auf dem Balkon und blicke über die Dächer von Neudorf.

Auf einmal geht die Sonne unter und ich verspüre einen kalten Windstoß. Es ist Zeit für mich reinzugehen. Kaum in der Küche angekommen, fällt mir der PC ins Auge. Sofort führe ich einen inneren Monolog: Ach stimmt, da war ja was. Lohnt es sich überhaupt noch mit dieser Energie Texte zu schreiben? Der Tag fing ja eh schon komisch an. Morgen stehe ich einfach ganz früh auf und schreibe den besten Text meines Lebens. Das spüre ich.

Ich verstehe sofort, was hier gerade in meinem Kopf vorgeht. Ich versuche mich zu drücken. Nicht, weil ich es nicht lieben würde, Texte zu schreiben oder es mir an Inspiration fehlt, nein, nein!

Ich habe gerade einfach keine Lust. Mir ist nicht danach. Manchmal ist einem einfach nicht danach und um das zu vertuschen, versucht man anderweitig produktiv zu sein. Man kommt zum Beispiel auf die Idee, den Balkon zu streichen. Eigentlich komplett bescheuert, wenn man drüber nachdenkt. Aber so ist das nun mal. Manchmal möchte man einfach gerne prokrastinieren und das darf man auch. Vor allem, wenn man am Ende des Tages eine Story hat, die man erzählen kann.

 

 

 

 

 

 

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UP To Date. Mit der etwas anderen Kolumne für neugierige Menschen

The Author

Carla Cingil

WER IST DIESE CARLA? Das bin dann wohl ich, Carla Cingil. Seit ein paar Jahren bin ich als Journalistin unterwegs und habe bereits für verschiedene Printmedien geschrieben. Nun habe ich mich dazu entschieden, meine eigene Plattform zu gründen. Warum? Ganz einfach: Damit ich tun und lassen kann, was ich will. Wenn ich mich mal nicht als rasende Reporterin versuche, studiere ich Politikwissenschaft, stehe auf der Theaterbühne, tanze irgendwo in der ersten Reihe oder schlendere durch Kunstausstellungen. In Carlas Kolumne geht es hauptsächlich um die Themen Musik und Politik. Stets nach dem pathetischen Motto: Musik im Herzen und Politik im Kopf. Da allerdings noch viel mehr interessante Themen zwischen den beiden existieren, werden auch diese immer mal wieder aufgegriffen. Neben journalistischen Artikeln werden mit der Zeit auch Kommentare, Videointerviews oder Podcasts veröffentlicht. Jeden zweiten Samstag erscheint neuer Content zum Konsumieren. Damit ihr euch in der Zwischenzeit nicht langweilt, gibt es oben eine Playlist, die monatlich aktualisiert wird. Das war‘s erstmal, ich wünsche euch viel Spaß!

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