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Hat die neue Bundesregierung das Potenzial revolutionär im Gegensatz zu der alten zu sein? Im Interview mit Politikwissenschaftler Professor Dr. Karl-Rudolf Korte

by Carla Cingil
06.18.2022

Im Interview mit Politikwissenschaftler Professor Dr. Karl-Rudolf Korte

Seit dem 08. Dezember 2021 gibt es eine neue Regierung im Bundestag. Zusammengesetzt ist sie aus den Parteien SPD, Bündis90/Die Grünen und FDP. Damit lösen sie nach 16 Jahren die Schwarz-Rote Koalition bestehend aus CDU/CSU und SPD ab. Fast zwei Jahrzehnte, das ist eine lange Zeit, in der die CDU regierend war, jetzt, als sie abgelöst wurde, steht die Frage im Raum, ob es neben dem augenscheinlichen Wandel auch einen inhaltlichen gibt.

Vorab muss man bedenken, dass Politik ein aufeinanderfolgender Prozess ist und es Zeit braucht, bis sich dieser verändert.

Aber zurück zum Thema, die Rot-Grün-Gelbe Koalition oder: ‚Ampelkoalition‘, weckt in vielen Bürger:innen die Hoffnung auf Veränderungen in einer von vielen als überholungsbedürftig angesehenen Politik.

Dieses Interesse / dieser Aktionismus der jüngeren Menschen spiegelt sich auch in der Wahlbeteiligung wider, so konnten die Wähler:innen im Alter von 21 bis 29 Jahren mit einem Anstieg von 3,9 Prozentpunkten mit Abstand den höchsten Anstieg der Wahlbeteiligung verzeichnen: „Ich sehe keine verkrusteten Organisationen, die nur abwarten bis sie die letzten Mitglieder verloren haben. Im Gegenteil die kleineren Parteien und die mittelgroßen haben sehr viele neue Mitglieder bekommen, daher ist dort eine große Dynamik erkennbar“, sagt Politikwissenschaftler Professor Dr. Karl-Rudolf Korte von der Universität Duisburg-Essen.

In den vergangenen Jahrzehnten regierten fast nur Bündnisse aus zwei politischen Partnern. Das Wahlergebnis ließ jedoch die Bildung einer klassischen Zweier-Koalition nicht zu. Also blieb den Parteien nichts anderes übrig, als sich anzunähern – so wurden aus politischen Gegnern wie den Grünen und der FDP Partner. „Die Ampel setzt sich so zusammen, dass sie anders als die vorherige Regierung eine ist, die sich freiwillig zusammengeschlossen hat und nicht zusammen geschweißt wurde wie die GroKo damals – ein Bündnis wider Willen war. Da es drei Parteien sind aus der Mitte und auch aus unterschiedlichen Generationen, ist die Chance mit dieser Mitte und dreier Konstellation viel zu erreichen relativ hoch“, erklärt Professor Dr. Korte.

Trotz der Annäherungen vergingen zwei Monate bis sich alle auf einen Koalitionsvertrag einigten. Das Ergebnis: Ein Vertrag bestehend aus 138 Seiten und neun Kapiteln.

Das Motto: Weg von verkrusteten Werten hin zum Erhalt des Klimaschutzes.

Der Titel: Mehr Fortschritt wagen – Das Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit hinterlässt einen frischen Wind, der die Frage aufwirft, ob es sich bei der Koalition um eine revolutionäre Regierung handelt: „Ja, das Potenzial revolutionär im Vergleich zu der GroKo zu sein, hat sie und das hat sie in der Koalitionsvereinbarung  -Vorschritt wagen, Transformation wagen auch angelehnt. Veränderungspatriotisch voranzutreiben, das ist ein Anspruch, der sich durch die vielen Seiten hindurchzieht, auch durch die erste Regierungserklärung – Also der Anspruch dazu ist da“, so Professor Dr. Korte.

Welche neuen Ideen beziehungsweise Ziele stehen denn überhaupt im Koalitionsvertrag? Eines der populärsten Ziele ist es, den Mindestlohn von 9,85 Euro auf 12 Euro pro Stunde anzuheben.

Außenpolitisch baut die neue Regierung das Bekenntnis zu Europa aus, die enge Freundschaft zu Frankreich, die Partnerschaft mit den USA und den Einsatz für Frieden und Verständigung in der Welt. Dieser multilaterale Ansatz setzt außerdem auf die Stärkung der Vereinten Nationen (UN).

Eines der bedeutendsten Ziele ist der Klimaschutz. Die neue Koalition will international als Vorreiter in diesem Thema anerkannt werden. Daher soll bis 2030 Deutschland 80% seines Stroms aus erneuerbaren Energien beziehen, zuvor waren 65% geplant. Außerdem soll der Ausstieg aus der Kohle ebenfalls auf 2030 vorgezogen werden.

All diese Punkte und auch die anderen lassen sich wunderbar lesen und besonders die grünen Herzen höher schlagen, aber dann geschah etwas, was nicht nur die Bevölkerung, sondern auch die Politik in eine Art Schockstarre versetzt hat: Krieg in Europa.

Am 24. Februar startete Russland einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg auf die Ukraine. Seit Kriegsausbruch fliehen laut UN-Flüchtlingskommissariat mehrere Millionen Menschen. Die Bilder von Leid und Zerstörung sind präsenter denn je und finden sogar Einzug in den Köpfen der Menschen, die sonst die Augen verschließen. Es herrscht Krieg vor unserer Haustür und das hat auch Auswirkungen auf das Leben in Deutschland.

Die weltweit größte humanitäre Krise unserer Zeit findet im Jemen statt. Fast 23 Millionen Menschen (Drei Viertel der Bevölkerung) brauchen Nothilfe, um zu überleben. Der momentan tödlichste und brutalste Krieg findet in Äthiopien statt. Seit November 2020 sind 500.000 Menschen gestorben. Seit dem vergangenen Jahr werden weltweit 20 Konflikte beobachtet, die aufgrund ihres Ausmaßes und ihrer Intensität als Kriege klassifiziert wurden.

Der Krieg in der Ukraine geht mit einem Umdenken der bisherigen angestrebten Ziele einher. Dies führt zu einer komplett anderen Wertesetzung und ein Umdenken findet statt:  Weg vom Pazifismus, hin zu einer anderen Gewichtung vom Militär.

Zuerst sah man davon ab, Geld in die Aufrüstung zu investieren, jedoch 2 Monate nach Ausbruch des Krieges wurde der Etat der Bundeswehr auf mehr als 100 Milliarden Euro erhöht. Von den Debatten der letzten Wochen bezüglich der militärischen Unterstützung Deutschlands mal abgesehen – ein komplett neuer Diskurs mit komplett neuen Problemen wurde erschaffen, was dazu führt, dass die ökologische Energiewende, die das Steckenpferd dieser Regierung war, durch den Krieg erschwert wird.

Die Überlegung, ob Atomkraftwerke reaktiviert werden sollen, der Kohleausstieg verschoben wird usw. all diese Fragen müssen sich die Fraktionen stellen.

„Die Wucht des Kriegsereignisses antiquierte den Koalitionsvertrag, der in einer nie dagewesenen Geschwindigkeit die ausformulierten Zumutungen der Transformation völlig neu gewichtete. Das inhaltliche Potenzial des Koalitionsvertrages und der veränderungspatriotische Duktus bleiben relevant, aber in einer neuen Gewichtung. Sicherheit geht zukünftig keineswegs vor Klimaschutz. Vielmehr ist sichtbar geworden, dass Infrastruktur – am Beispiel der Energiesicherheit – auf vielfältige Weise unsere Freiheit absichert“, erklärt Professor Dr. Korte.

Die Bundesregierung wird vor bisher unvorstellbare Probleme gestellt, sie muss aktuell reagieren und sich immer wieder neu positionieren. Ob es sich bei der Ampel um eine revolutionäre Regierung handelt, kann man also erst nach den vier Jahren sagen, in denen sie regiert hat. Was man jedoch jetzt schon festhalten kann, ist, dass diese Regierung auch in Krisenzeiten zusammenhält und versucht, die Probleme gemeinsam anzugehen. „Moderne Verunsicherungsfähigkeit erfordert Probehandeln im Geiste. Daraus kann eine Zuversicht erwachsen, mit Überraschungen des politischen Lebens souveräner umzugehen. Weiterdenker müssten nicht sehen, was eine Gesellschaft will oder was auf sie zukommt, sondern eher, was sie glaubt, erwarten zu können. Wir brauchen dafür politische Führung, die ein Sensorium für den Umgang mit dem Unerwarteten entwickelt“.

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The Author

Carla Cingil

WER IST DIESE CARLA? Das bin dann wohl ich, Carla Cingil. Seit ein paar Jahren bin ich als Journalistin unterwegs und habe bereits für verschiedene Printmedien geschrieben. Nun habe ich mich dazu entschieden, meine eigene Plattform zu gründen. Warum? Ganz einfach: Damit ich tun und lassen kann, was ich will. Wenn ich mich mal nicht als rasende Reporterin versuche, studiere ich Politikwissenschaft, stehe auf der Theaterbühne, tanze irgendwo in der ersten Reihe oder schlendere durch Kunstausstellungen. In Carlas Kolumne geht es hauptsächlich um die Themen Musik und Politik. Stets nach dem pathetischen Motto: Musik im Herzen und Politik im Kopf. Da allerdings noch viel mehr interessante Themen zwischen den beiden existieren, werden auch diese immer mal wieder aufgegriffen. Neben journalistischen Artikeln werden mit der Zeit auch Kommentare, Videointerviews oder Podcasts veröffentlicht. Jeden zweiten Samstag erscheint neuer Content zum Konsumieren. Damit ihr euch in der Zwischenzeit nicht langweilt, gibt es oben eine Playlist, die monatlich aktualisiert wird. Das war‘s erstmal, ich wünsche euch viel Spaß!

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